Inkontinenzformen


Belastungs- oder Stressinkontinenz – Dranginkontinenz oder Reizblase – Mischinkontinenz

 

Autorin:
Maya Elmiger-Imgrüth, Physiotherapeutin Beckenbodenrehabilitation

 

Der ungewollte Abgang von Urin (Harninkontinenz) ist ein sehr häufiges Problem. Nur spricht fast niemand darüber. Oft braucht es viel Zeit, bis die Betroffenen Hilfe suchen und das Problem angehen. Eine Schwangerschaft, eine Geburt, eine Operation oder schlicht das Alter können zu Inkontinenzproblemen führen. Alle, Frauen, Männer und Kinder können davon betroffen sein. In den meisten Fällen kann die Blasenfunktion wieder hergestellt oder zumindest deutlich verbessert werden.


Die drei häufigsten Formen von Harninkontinenz sind:

  • die Belastungsinkontinenz oder Stressinkontinenz

  • die Dranginkontinenz oder Reizblase

  • die Mischinkontinenz – eine Kombination aus Belastungs- und Dranginkontinenz

Die Blasenschwäche ist keine eigene Form der Inkontinenz. Im Volksmund wird der Begriff Blasenschwäche als Überbegriff für Probleme mit der Blasenentleerung gebraucht.


Belastungsinkontinenz oder Stressinkontinenz

Mit Stress ist hier nicht der psychische Stress im Büro oder Alltag gemeint, sondern der Stress durch die körperliche Belastung, welche zum unwillkürlichen Urinabgang führt. Deshalb spricht man heute von Belastungsinkontinenz. Bei körperlicher Belastung wie zum Beispiel Husten, Niesen, Lachen, Hüpfen oder Heben von schweren Lasten geht Urin verloren. Der oder die Betroffene verliert nur wenig Urin, ein paar Tropfen oder Spritzer. Vor dem Urinverlust wird kein Harndrang verspürt. Das Wasserlassen kann willentlich gestoppt werden.

Die Ursache ist eine Schwäche der Verschlussmechanismen der Blase. Der Schliessmechanismus der Harnröhre ist nicht in der Lage, bei einem plötzlichen Druckanstieg im Bauchraum standzuhalten. Die Beckenbodenmuskulatur und die Schliessmuskulatur der Harnröhre sind geschwächt. Die Stressinkontinenz tritt häufiger bei Frauen als bei Männern auf und eher im fortgeschrittenen Alter. Die Belastungsinkontinenz lässt sich meistens gut mit konservativer Beckenbodentherapie behandeln.


Häufige Ursachen

Bei Frauen

  • Geschwächte Beckenbodenmuskulatur nach Schwangerschaften und Geburten sowie aufgrund hormoneller Veränderungen.

  • Blasen- und Gebärmuttersenkungen

Bei Männern

Im Gegensatz zu Frauen eher selten, meistens im Zusammenhang mit einer Prostataoperation.


Behandlungsmöglichkeiten

Ist die Ursache der Belastungsinkontinenz eine Beckenbodenschwäche, lässt sich diese meistens gut mit konservativen Methoden behandeln. Das Ziel der Behandlung ist die Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur. Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist, dass die oder der Betroffene seine Beckenbodenmuskulatur gut wahrnehmen kann. In der physiotherapeutischen Beckenbodenrehabilitation wird mit folgenden Massnahmen gearbeitet:

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  • Beckenbodentraining, eventuell unterstützt durch Biofeedback

  • Elektrostimulation

  • Training mit konischen Vaginalgewichten

  • Analyse des Trink- und Miktionsverhaltens

  • Analyse und Beratung alltäglicher Verhaltensmuster

Führt die konservative Behandlung nicht zum Erfolg, gibt es weitere Möglichkeiten, die Belastungsinkontinenz zu behandeln. Medikamentöse oder operative Massnahmen können zum Erfolg führen.


Dranginkontinenz oder Reizblase

Bei der Dranginkontinenz tritt ein plötzlicher, starker und unaufhaltsamer Harndrang auf. Ein Glas Wasser oder plätschernde Geräusche können der auslösende Faktor sein für den plötzlichen Harndrang mit darauffolgendem unwillkürlichem Urinverlust. Das Problem tritt nicht nur im Sitzen oder Stehen, sondern auch im Liegen auf. Die Betroffenen müssen die Toilette sofort aufsuchen, oft erreichen sie diese nicht rechtzeitig. Das Wasserlassen kann nicht willentlich unterbrochen werden. Grund für diese Störung ist eine gesteigerte Tätigkeit der Blasenmuskulatur. Entweder gibt sie zu viel Impulse an die Nervenbahnen ab, oder sie erhält zu wenig hemmende Impulse vom Gehirn. Die Dranginkontinenz betrifft jüngere und ältere Personen, Männer wie Frauen.


zwei Formen der Dranginkontinenz

  1. Motorische Dranginkontinenz (überaktive Blase): Bei dieser Form fehlt die Hemmung der Nervenimpulse des Blasenmuskels. Als Folge zieht sich die Blasenmuskulatur immer wieder unkontrolliert und krampfartig zusammen. Dadurch gehen schwallartig kleine Mengen von Urin ab. Die motorische Dranginkontinenz kann ohne erkennbare Ursache, als Folge von neurologischen Erkrankungen oder durch eine Vergrösserung der Prostata oder bei Diabetes mellitus auftreten.

  2. Sensorische Dranginkontinenz (überempfindliche Blase): Bei dieser Form übermitteln die Nervenenden der Blasenwand dem Gehirn einen falschen Füllstand der Harnblase. Obwohl die Blase noch fast leer ist melden die Nerven, dass die Blase voll ist. Das Gehirn aktiviert somit den Blasenmuskel und es kommt zur Harninkontinenz. Es gibt viele verschiedene Ursachen für dieses Problem. Zum Beispiel bei Östrogenmangel bei Frauen, Verengung der Harnröhre durch die Prostatavergrösserung beim Mann, Blasenentzündungen oder Blasensteine etc.


Behandlungsmöglichkeiten

Eine gute Diagnose durch einen Arzt ist sehr wichtig aufgrund der Vielfältigkeit der Ursachen. In der Regel ist auch die Dranginkontinenz gut behandelbar. Mögliche Massnahmen sind blasenentspannende Medikamente, Hormone oder ein Trink- und Blasentraining. Eine spezialisierte Ärztin kann sie individuell behandeln und beraten.


Mischinkontinenz

Treten gleichzeitig Symptome der Belastungs- und der Dranginkontinenz auf, liegt eine Misch-Harninkontinenz vor. Das Auftreten von Symptomen beider Inkontinenzformen führt zu einem noch grösseren Leidensdruck. Die Betroffenen sind oft sehr angespannt und die Lebensqualität leidet stark unter der Erkrankung. Auch hier ist es unbedingt sinnvoll, sich in ärztliche Behandlung zu begeben.


 
Ganz wichtig zu wissen ist, dass bei jeder Inkontinenzform eine Verbesserung oder sogar eine Heilung möglich ist. Niemand sollte still vor sich hin leiden.
— Maya Elmiger-Imgrüth, Physiotherapeutin und Beckenbodenspezialistin
 

Bei einer leichten Belastungsinkontinenz darf die oder der Betroffene auch selbst mit einem Beckenbodentraining beginnen. Dazu werde ich im nächsten Blog mehr erzählen.


Wann ist ärztliche Unterstützung sinnvoll?

Sollten Beschwerden auftreten oder keine Besserung eintreffen, sollte man ärztliche Unterstützung holen. Bei grösseren Problemen, bei der Dranginkontinenz oder bei Mischformen ist es sinnvoll, gleich einen Arzt oder eine Ärztin um Rat zu fragen.